Reportage medicoJOURNAL – Ausgabe Feuer

Feuer und Fenya


Felix hatte keine Ahnung von Pferden, jetzt hat er Fenya.


Wir wissen nicht, wie alles begann. Wie wissen nur, dass es vor zirka 13.8 Milliarden Jahren begann. Alles, was zum heutigen Universum geführt hat, schlummerte in einem winzig kleinen Punkt namens Singularität. Dann kam der Urknall und mit ihm Sauerstoff, Kühe, Musik, Netflix, Rösti, der Stau am Gotthard, unser Planet Erde und die Frage, woher das alles kommt. Vielleicht ist es sogar für das Universum unmöglich, nichts zu tun, nicht irgendwann zu reagieren, nicht irgendwann den Fussball zu treten, der da auf der Wiese liegt. Ohne Grund, ohne Ziel, einfach, weil es möglich ist und irgendwas in uns drin sagt «tu es». So wie irgendwas in uns drin schlussendlich immer wieder sagt «mach' weiter», trotz allem.

In diesem Moment fühlen wir das Feuer, aber woher der Funke kommt, wissen wir nicht. Genau darum hüten wir das Feuer, lassen es nicht ausgehen. Der Funke ist die Singularität in uns, die einfach da ist und alles beinhaltet, was jemals sein wird, von der wir aber nicht wissen, woher sie kommt, was oder wer sie auslöst. Sie wartet dort in uns, bis ein Funke das Feuer des Lebens entfacht und wir geboren werden, obwohl wir schon lange da sind. Weil wir etwas gefunden haben, dass das Leben in uns gebiert.

Felix hatte so einen Moment, im Frühling irgendwo im Jura. Wie so oft ist er mit dem Motorrad unterwegs. Ein Motorrad, das nach Abenteuer ruft, mit Stollenpneus und Seitenkoffer. Nicht besonders schnell, aber es scheint zäh und zuverlässig. Es ist eher der Muli von Clint Eastwood als Seabiscuit: Bereit für den langen, steinigen Weg, aber an Spitzenzeiten im immer gleichen Rund der Rennbahn nicht interessiert. So steht Felix jetzt, da es Nacht wird an einer Kreuzung im Jura und sucht nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Google schickt ihn zu einem Pferdehof und beeinflusst somit Felix' Leben nachhaltig. Ein Ereignis, das die kaskadische Verbundenheit all unserer Leben skizziert; wer weiss schliesslich, ob Felix und Fenya zueinander gefunden hätten, wäre am 4. September 1998 in Mountain View, Kalifornien, nicht Google gegründet worden?
Am Pferdehof angekommen, entscheidet sich Felix, der bis anhin nur ein oder zweimal im Leben Kontakt mit Pferden gehabt hat, an einem Ausritt teilzunehmen. Aufgrund seiner mangelnden Erfahrung wurde ihm dies erst vom Stallscheff verwehrt, dann liess man die Zügel aber doch ein wenig lockerer und man gab ihm Fenya. Die sei nämlich gemäss Stallscheff «kein Pferd, sondern eine Lebensversicherung».

Es war Liebe auf den ersten Ritt. Nicht diese Liebe, die auf Lebkuchenherzen verschenkt wird oder mangels intensiver Auseinandersetzung schnellschnell per Emoji-Küsschen im Chat versandt wird. «Ich habe mich in dieses Pferd verliebt», sagt mir Felix, der erwachsene Mann und Geschäftsführer seiner selbst gegründeten Internet-Agentur. Auch Fenya schien Gefallen an Felix zu finden, hat sie ihm doch nach dem ersten Ausritt die Hände abgeschleckt. Was das in Pferdesprache heisst, weiss ich nicht, aber ich unterstelle diesem Ausdruck Zuneigung. Viele würden wohl von so einer Romanze träumen. Unverhofft, leicht und gegenseitig.

Felix muss zurück nach Zürich, die Arbeit ruft. Mit den Kilometern, die er sich von Fenya entfernt, spürt er, wie das neu gewobene Band zwischen ihm und ihr immer stärker zu ziehen beginnt, und, wie bei einem Gummiband, der Widerstand Kilometer um Kilometer zunimmt. Auf einem Pass angekommen, denkt er sich: «Pferdewandern, das wäre schön. Langsam, ruhig, ohne Menschen und doch nicht alleine.»

Spätestens hier merkt Felix, dass das kein Ferienflirt war, dort im Jura. Wenn man beginnt, sich eine gemeinsame Zukunft vorzustellen, wird es ernst. Und es war ernst, denn die Gedanken an diese Zukunft liessen ihn nicht mehr los. Erklären konnte er es sich nicht, aber wer kann das schon. Warum mir gerade die oder der so einfährt; so eine wie die oder den wollte ich doch nie und eigentlich fand ich die oder den immer doof. Und dann doch, ist es einfach so, es entfacht ein Funke ein Feuer, dessen Wärme man insgeheim vermisst hat. Eine Wärme, die man so sehr vermisst hat, dass man gar nicht wusste, dass sie dich so wärmt. Wie auch. An diesem Ort war es so kalt, dass du dort nie hingegangen bist. Dort wächst nichts, denkst du, aber dann kommt jemand und erweckt genau diesen Ort zum Leben. So, wie du im anderen ein Feuer entfachen kannst. So kommt ihr zusammen, weil ihr wisst, wenn wir es schaffen, dieses Feuer zu hüten, kann uns keine Dunkelheit etwas anhaben.

In Felix kämpft es. «Was soll ich mit einem Pferd. All diese Arbeit, all dieses Geld. Dann ist es ja noch ein Lebewesen, das kann ich nicht einfach in der Garage überwintern wie meinen Töff. Das will geputzt, gefüttert und bewegt werden. Eine persönliche Beziehung soll man auch noch aufbauen. Jesses.» Felix versucht, die emotionale Bindung zu Fenya zu trennen, seine Gefühle für diese stämmige Kaltblüterin abzutöten. Wenn schon ein Pferd, dann was Rassiges. Nicht so ein Arbeitspferd, so einen Panzer.

Und dann war es entschieden. Felix fährt über den Sommer jedes Wochenende in den Jura um Fenya zu besuchen. Es war seit dem ersten Treffen entschieden, aber der das Feuer entfachte so schnell, dass man es erst sah, als es lichterloh brannte. Man musste es nicht langsam entfachen und die Flamme vom Zunder übers Anfeuermaterial zum Brennmaterial bitten. Nein, es war einfach Felix, Fenya, Funke, Feuer. «Es geht nicht darum, dass es ein Pferd ist», sagt Felix. «Mir gefällt Fenya einfach als Lebewesen, als Charakter.»

Und wie immer nach der ersten Verliebtheit beginnt jetzt die Arbeit für das gemeinsame Miteinander. Wie lebt man zusammen, wieviel Freiheit braucht man, will man, wie kommuniziert man miteinander, was nervt, was gefällt, welche Kompromisse geht man ein. Zusätzlich ist für Felix diese Pferdewelt komplett neu. Als Geschäftsführer einer Agentur für Weblösungen in Zürich und in Zürich wohnhaft, ist er eine andere Haptik und andere Kommunikationsarten gewohnt. Von Maschinenlogik geprägte Codezeilen bestimmen seinen Alltag, seine Band «Bläss» prägt seine Freizeit. Jetzt wurde so vieles neu, dass es Felix oft den Atem verschlug.

Die ersten Kontakte mit Fenya waren stets geprägt von einem mulmigen Gefühl. Er mochte Fenya fest als Lebewesen, aber der Umgang mit einem Pferd war zu ungewohnt. Es half Felix auch nicht, dass jeder Experte eine andere Meinung zum Umgang mit Pferden hatte. Felix wurde nervös. Wollte er Fenya nach Zürich holen, musste er den Umgang mit ihr bis zum Herbst erlernt haben. Wie putze ich sie, wie rede ich mit ihr, wie bin ich dominant genug ohne die Wärme vermissen zu lassen. «J'arrive pas avec le sabots», bittet Felix den Stallscheff verzweifelt um Hilfe. Dieser lädt Felix erst mal auf ein Glas Wein ein. Vielleicht die jurassische Art ihm zu sagen «ganz ruhig, Brauner, das wird schon». Vorab wurde es aber nichts. Felix plagten Angstattacken, die er mit Atemübungen bekämpfte. Beim ersten Reitversuch wurde er von Fenya abgeworfen. «Aber nur ganz sachte, ich landete direkt neben ihren Füssen», nimmt Felix Fenya in Schutz. Er mag sie wirklich sehr. Das sieht auch der Stallscheff und lässt Fenya mit Felix ziehen. Fenya lebt jetzt in Fällanden auf dem Bollenrütihof, einer Pferdepension mit weiten Feldern und sehr sympathischen Gastgebern.

Felix fährt mit seinem Motorrad täglich zu Fenya um sie zu besuchen, sie zu putzen, mit ihr zu reden und sie im Round-Pen laufen zu lassen. Ich besuche Felix auf dem Hof in Fällanden, nachdem wir über seine Geschichte geredet haben, in der Woche zuvor bei einem Bier. Jetzt, am Hof, gibt es kaum noch etwas zu sagen. Felix kümmert sich um Fenya, andächtig, gleichzeitig in sich verloren und aufmerksam. Unten am Hang, an dem der Hof liegt, sammelt sich der erste Herbstnebel, Pendlerautos fahren von da nach dort. Felix führt Fenya in den Round-Pen, wo sie zum ersten Mal galoppiert, seit sie mit Felix zusammen ist.
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Do not let your fire go out, spark by irreplaceble spark in the hopeless swamps of the not-quite, the not-yet, and the not-at-all. Do not let the hero in your soul perish in lonely frustration for the life you deserved and have never been able to reach. The world you desire can be won. It exists, it is real, it is possible, it's yours. – Ayn Rand

Bilder: Stephan Huwyler

Übrigens, in Fenyas Pferdepension sind noch Plätze frei. Infos unter bollenruetihof.ch

Und was Felix sonst so macht sehen Sie auf flxlabs.com

Mark