Reportage medicoJOURNAL – Ausgabe Träume

Garten der Träume


Der Biss in einen Pfirsich veränderte seine Welt. Jetzt macht Landschaftsarchitekt Enzo Enea Träume wahr.




Man weiss nie, wo man sie trifft. Manche suchen sie ein Leben lang vergebens, andere verschmähen sie in der Hoffnung auf eine Bessere, andere wiederum treffen sie nie. Die Kunst ist, sie zu erkennen, ihren Blick auszuhalten und bereit zu sein, den Traum von ihr loszulassen indem man sie umarmt. Denn sie gefunden zu haben heisst, nicht mehr von ihr träumen zu können. Sie, deine Bestimmung wird dir von nun an Licht und Schatten sein, Sommer und Winter, Traum und Albtraum. Sie gibt dir die Kraft, Träume wahr zu machen und andere Menschen zu inspirieren, ihrer Bestimmung in die Augen zu sehen und sie so aufatmen und ihren Frieden finden zu lassen.



«Ich werde diesen Moment als ich meine Bestimmung traf nie vergessen», beginnt Enzo Enea zu erzählen, als er mich in das Baummuseum führt. «Es war im Garten meines Grossvaters in Süditalien. Ich war noch ein Kind damals und liebte es, mit meinem Grossvater Zeit zu verbringen. Sein Wissen, sein Wesen – er schien mir wie ein Weiser. Aber an diesem Tag wollte keine Freude bei mir aufkommen. Warum, weiss ich nicht mehr genau. Es schien, als war die Sonne noch unbarmherziger, die Mücken noch lästiger, der Weg länger, der Boden staubiger und der Durst grösser als sonst. Mein Kopf hing mir schwer wie eine Wassermelone zwischen den Schultern, als mein Grossvater seine linke Hand auf meine Schulter legte und mit der rechten zu einem Pfirsich deutete, der für mich gerade noch in Reichweite am Baum reifte. Mürrisch sah ich ihn an, konnte aber seinem Lächeln nicht widerstehen, griff nach dem Pfirsich und biss mir den Gram vom Leib. Vielleicht war es diese Energie, die mich den Moment intensiver spüren liess, vielleicht war es, weil ich aus Wut die Augen schloss und mich so nur auf den Geschmack konzentrierte, vielleicht aber war ich selbst einfach reif für diesen Moment.

Aber es war dieser Moment, der Geschmack dieses Pfirsichs, der mein Leben prägen sollte. Dieser Biss in diese Fleisch gewordene Sonne, die mich all die Mühen vergessen liess, die es uns kostete, diesen Baum zu Pflegen und den Pfirsich beim Wachsen zu unterstützen. Das Aufstehen um drei Uhr morgens, um der Hitze auszuweichen, die langen Fussmärsche zum Garten, weil der Garten einfach da war, wo die Bäume waren und nicht aus Bequemlichkeit als Plantagen vors Haus gepflanzt wurde. Vergessen war das mühsame Pflügen, das Wasser holen, die unzähligen Zanzare (Stechmücken), der Durst, der Hunger, das verpasste Fussballspiel mit Freunden oder der Verdruss darüber, dass man nicht mit dem Bus ans Meer fahren konnte, um ein Eis zu essen. Alles in diesem Moment prägte mich. Ausgehend von der Frucht sah ich den Baum. Er ist es, der uns Leben spendet. Seine Früchte machen uns satt und er gibt uns die Luft, die wir zum Leben brauchen. Ich begann, Bäume neu zu sehen. Aber nicht nur Bäume, auch die Landschaft, die Dörfer, die Parzellen, Stauden, Blumen, Jahreszeiten, den Sonnenstand und Schattenwurf. Ich begann zu sehen, dass sich die Dörfer durch ihre natürliche Bauweise an die Natur anschmiegten, anstatt sie zu würgen. Ich sah die Demut im Umgang mit der Natur und die Dankbarkeit ihrer Gaben gegenüber. Aus allem wurde etwas gemacht, nichts wurde weggeworfen. Dieser Pfirsich liess mich all das sehen und machte mir klar, was ich will. Dieses Erlebnis in die Welt hinaustragen. Ich will noch mehr schwitzen dafür, noch längere Fussmärsche in Angriff nehmen und noch früher aufstehen. Weil ich glaube, dass andere auch früh aufstehen und Fussmärsche auf sich nehmen. Aber ich glaube, nicht alle wissen, weshalb. Wenn sie in meinen Garten eintreten, werden sie es wissen. Mein Garten soll ihr Pfirsich sein. Diesen Traum wahr zu machen ist bis heute meine Motivation. Der Pfirsichbaum meines Grossvaters wurde zum Baum der Erkenntnis und sein Garten zum Garten meiner Träume. Ich wollte fortan Gärten schaffen, die diese Harmonie spiegeln und dem Menschen Heimat werden.»

Enea Baummuseum, Rapperswil-Jona

Das Ziel war klar, aber die neu geöffneten Sinne verlangten nach neuen Eindrücken. So machte sich Enzo auf, die Welt mit ihren Formen, Farben und Landschaften zu erkunden. In Hawaii angekommen entschied er sich endgültig, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Er studierte Landschaftsarchitektur in London und liess sich zum Industriedesigner ausbilden. 1993 übernahm er die auf Steintöpfe spezialisierte Firma seines Vaters, 1998 gewann er als Gartengestalter den Newcomer Award der Chelsea Flower Show. Jetzt, eine Generation später, hat Enzo tausende Gartenträume wahr werden lassen. Privatgärten, Pärke, verrückte Projekte wie die Bewaldung eines Fussballstadions oder klassische Arbeiten wie die Gestaltung des Aussenbereichs des Bulgari Hotels in Peking. Im Zentrum seiner Arbeiten stehen immer wieder sie, die ihn zu seiner Bestimmung führten, die Bäume.

Über Kunden und Projekte kommt Enzo immer mehr mit Kunst in Berührung. Er, der Bäume gerne auch als Skulpturen sieht, beginnt von einem Ort zu träumen, der Kunst und Natur vereint. Warum trennen? Wer bestimmt, was Kunst, was Natur ist? Integrieren lautet Enzos Antwort. Einen Ort schaffen, der eint. Von der Landschaft ausgehend nach innen arbeiten. Mit dem Genius Loci arbeiten, dem «Geist des Ortes». All diese Philosophien und Ideen funkelten in Eneas vielen Projekten wie Geistesblitze. Jetzt war die Zeit reif, einen Ort zu schaffen, der all diese Punkte zu einem Bild vereinte. Ein Ort, der Kunst, Botanik, Architektur und Landschaftsgestaltung vereint. Gewidmet wird der Ort jenem Lebewesen, das ihm seine Bestimmung offenbart hat, dem Baum. Die Idee zum Enea Baummuseum war geboren.

Und wie so oft, wenn man weiss, dass man das Richtige macht, überkam Enzo eine tiefe Ruhe. Diese Ruhe sollten auch die Gäste des Baummuseums spüren. Aber wie sollte dieser Ortaussehen? Wie holt man einen Traum in die Realität?Immer und immer wieder muss man sich fragen, was das Wesen der Dinge ist. Was es in seinem Innersten ist, seine Natur verstehen, sich in ihren Schoss fallen lassen. Wovon also träume ich, wenn ich von einem Haus, einem Auto, einer Reise, einem Menschen, einem Ziel träume? Was ist es, was es ist? Träume ich vom Auto oder der Flucht? Was hoffe ich zu finden? Was soll dann sein, wenn es ist?

Immer diese Träumerei. Dieses wenn dann, diese Sehnsucht, das Malen des Fehlenden. Träume sind wie das Meer, in das wir uns flüchten. Dreh dich um, geh zur Quelle, dort ist die Antwort. «Hier war nichts ausser Sumpf. Das Wasser schoss durch die Decke der Erde, die für uns der Boden ist. Keine idealen Voraussetzungen für ein Bauvorhaben. Ausserdem gehört die Parzelle am Zürcher Obersee der Zisterzienserabtei Kloster Mariazell-Wurmsbach. Aber der Ort, dieser Ort», schwärmt Enzo, «dieser sanfte, weich gebettete Schoss mit der Aura der alten Bauernhöfe, der alten Obstbäume, wo Graureiher und Störche leben, entfernte Bergketten im Westen Sehnsüchte wecken und von Abenteuern erzählen, der See, der Ruhe und fiebrige Sommernächte verspricht, und die sanften Hügel gen Osten die Sonne in den Abend begleiten. Dort, genau dort, wo alles sich findet, soll das Baummuseum entstehen.

Gorilla, Jürgen Drescher

Gezeichnet mit schlichter Eleganz wie das antike Stadion von Olympia sieht Enzo es vor sich. Mit Bäumen aus Gärten von Liegenschaften, die Neubauprojekten weichen mussten. Vor der Vernichtung gerettete Bäume sollen hier weiterleben und gepflegt werden. Damit Besucher die als so selbstverständlich geltenden Geschöpfe neu sehen können, werden sie vor Leinwände aus dicken, meterhohen Kalksteinblöcken gestellt. Auch diese Blöcke wollte niemand mehr haben. Leicht beschädigt waren sie und somit heute Ausschuss. Nach den ersten Skizzen beginnt sich alles zu fügen. Bäume, Büsche, Blumen – jetzt noch Kunst. Skulpturen wie Affen, Lamas, Gesichter, Baracken, Surrealitäten und in Stein gehauene Philosophie integriert Enzo in die Landschaft seiner Träume. Das ist es. Das ist der Moment, in dem Enzo den Menschen seinen Pfirsich zeigt, wie eins ihm sein Grossvater zeigte, wovon er träumt. 2010 wird das Baummuseum eröffnet und noch heute berührt es die Menschen, wie die aktuelle Zuschrift einer Familie zeigt.

Lieber Herr Enea

Inspiriert von der Schulzeitschrift «Klasse«, in welchem Sie ein Interview gegeben haben, machten wir uns gespannt und mit Vorfreude auf den Weg, zu einem Besuch in Ihrem Baummuseum...Tatsächlich ist es schwierig, Worte zu finden, die beschreiben könnten, wie der Garten auf uns gewirkt hat. Dass wir ihn einfach schön gefunden haben, wäre eine hohle Bemerkung, welche jegliche Gefühle aussen vor lassen würde.Der Garten berührt einem – auf einer so anderen Ebene – tief im Herzen. Es ist wie ein «Sich Erinnern» an etwas längst Vergessenes und ein ehrfürchtiges «Sich Verneigen» vor soviel Schönheit und Erhabenheit. In Ihrem Garten Eden streift einem ein leiser Hauch Magie, ausgehend von einer Aura, die man nicht mehr missen möchte. Deshalb wollen wir Ihnen einfach danke sagen, für Ihren unermüdlichen Einsatz und Ihr wertvolles Werk, welches Sie in unserer unmittelbaren Umgebung geschaffen und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Sie sind eine absolute Inspiration, insbesondere für unsere junge Generation. Bei unserem kleinen Sohn Olivier (7 Jahre) haben Sie großen Eindruck hinterlassen. Ab jetzt zählen Sie vermutlich zu seinen ganz großen Vorbildern. (Ein weiteres solches Vorbild ist Bill Gates, der sich ebenfalls mit unermüdlichem Einsatz für Trinkwassersysteme für die gesamte Weltbevölkerung einsetzt.)

Empfangen Sie liebe Grüsse von Herzen
Familie Kamm aus Rapperswil


2020 feiert das Enea Baummuseum sein 10-jähriges Jubiläum. Es ist noch immer das einzige Baummuseum weltweit und noch immer Enzos Herzensprojekt.

Enzo Enea

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enea.ch/baummuseum

https://de.wikipedia.org/wiki/Enea_Baummuseum

Fotos: Joël Hunn, Martin Rütschi