Reportage medicoJOURNAL – Ausgabe Blau

Kobalt


Das Blau, das seit Jahrhunderten die Welt verrückt macht.


Wie der Kopf einer Stecknadel im Heuhaufen ragt unser blauer Planet aus dem All. Irgendwie haben wir ihn gefunden und es kommt einem vor, als läge die Tragik genau darin. Nicht mehr zu wissen was, was tun, wenn man das Gesuchte gefunden hat. Einfach Blau machen scheint uns nicht gegeben. So werkeln wir weiter, suchen, bauen, forschen, lernen, irren und evolutionieren so vor uns hin.

Und wie es schon immer war und noch immer ist, wenn irgendwo zum ersten Mal was ist, hält die Welt den Atem an, schaut und staunt und will es haben. Gesehnt hat man sich danach, ohne es zu wissen, aber jetzt, badend in diesem extatischen Gefühl weiss man es ganz genau. Das ist es. Wenn ich das habe, ist alles gut. Wie bekomme ich es? Beziehungen pflegen, Handel treiben. Wegen Porzellan? Ja. Es ist nicht nur neu, sondern auch so wunderschön blau. So beliebig Blau heute scheint, so fest müssen wir zugeben, dass wir ihm alle erliegen. Wir sind umarmt vom Blau des Himmels und dem Blau des Meeres. Unergründlich und doch Heimat, unendlich und doch Ziel von so vielen Reisen, Träumen, Projektionen.

Es gab eine Zeit, da war ganz Europa verrückt nach chinesischem Porzellan. Blauweisses Geschirr war das neuste iPhone, der krasseste BMW, in Stein gebrannter Status. Woher kommt dieses Blau? Wie kam das chinesische Geschirr nach Europa? Im Johann Jacobs Museum in Zürich wissen sie es ganz genau. Und am genauesten weiss es der Direktor, Herr Roger M. Buergel. Er spinnt uns einen blauen Faden durch die Zeit, um die halbe Welt, von den Brennöfen weit hinten in der Zeit bis in unsere Hosentaschen im Hier und Jetzt.

Kobalterz / Photo Courtesy Johann Jacobs Museum

«Im Johann Jacobs Museum interessieren wir uns für Beziehungen; zeitliche Beziehungen oder geographische Beziehungen. Und Beziehungen spielen beim bekannten blauweissen Porzellan und in diesem Zusammenhang zwischen Europa und China eine entscheidende Rolle. Dass «Blau» an sich zu Tage zu fördern mit ernsthafter Arbeit verbunden war, kann man sich heute ja gar nicht mehr vorstellen.»

Wenn man kurz die Augen schliesst und durch die Kunstgeschichte wandelt fällt einem auf – ob man irgendwelche niederländischen Stilleben aus dem 17. Jahrhundert anguckt oder heute an ein chinesisches Restaurant denkt – überall findet sich blauweisses Geschirr. Auch in der italienischen Ikonographie finden wir wieder Blau in den Mariendarstellungen im blauen Umhang.

Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge, Jan Vermeer / Wikipedia

The Visistation, Musée Condé / Wikipedia

Giotto di Bondone – Joachims Dream – Capella degli Scrovegni / Wikipedia

Das Blau wurde gewählt, weil man es nur über ein spezielles Pigment namens Labislazuli gewinnen konnte. Das kennt man auch von den ägyptischen Pharaonen. Ich denke, die Faszination dieses Blaus muss man gar nicht rational erklären, sie ist einfach unerhört. Die Verbindung zum Himmel, die Schönheit, die Seltenheit – all das führte zur Faszination und machte es exklusiv.


Drei Stufen von ägyptischem Blau. Ein Klumpen blauer Fritte (oben links); das Pigment in Pulverform (unten links); und wie auf eine ägyptische Mumienmaske aufgetragen (rechts). / University of Michigan


Wichtig ist der ökonomische Aspekt. Im Italien des 14. Jahrhunderts war dieses Pigment sauteuer. In dieser Zeit war es üblich, dass jede Familie sich eine Kapelle bauen liess. Die Grösse des Marienmantels war ein Zeichen für Grosszügigkeit und Religiosität der Familie. Wie wenn sich die Leute heute Autos kaufen – meins muss grösser sein. Blau ist ein Massstab für Status, aber auch ein religiöses Empfinden.

Kobalterz wird übrigens in der Schweiz gehandelt. Es kommt nie hier her, aber der Handel hat sich in der Schweiz entwickelt, weil die Schweiz sehr früh gezwungen war, Handelsbeziehungen aufzubauen.

Die Kobalterze für das chinesische Porzellan kamen aus Persien. Im Gegensatz zur Schweiz war China sehr autark. Sie mussten dort nicht Handel treiben. Und das war auch immer ein bisschen das Problem von Europa, weil die sich sehr für das weissblaue Porzellan interessiert haben, die Chinesen aber kein Interesse an europäischen Produkten hatten. Hier kommt ein anderer Rohstoff ins Spiel, nämlich Silber. Dieses kam über den Kolonialismus aus Südamerika. Dieses Silber war für die Chinesen interessant, um eine Einheitswährung aufzubauen. So haben sich die Europäer mit Silber dumm und dämlich bezahlt, um an das begehrte Porzellan zu kommen.

Es gab im 18. Jahrhunder sogar die sogenannte Porzellankrankheit, «maladie de porcelaine». Sie kommt von August dem Starken, dem Herrscher, der Meissen aufgebaut hat. Er war nach Porzellan süchtig – je mehr desto besser. Entsprechend gross ist seine Sammlung in Meissen. Und die europä-ischen Herrscherhäuser haben alle miteinander konkurriert, was den Porzellanbesitz angeht. China wurde sehr bewundert für die Fertigkeit, dieses Porzellan auf diesem Niveau herzustellen.

Sie haben bis zu einer Million Stücke Porzellan pro Tag produziert, wie europäische Jesuiten berichten, die eine Art Industriespionage betrieben haben.


Photo Courtesy Johann Jacobs Museum

Viele Anstösse zur Industriellen Revolution und modularer Produktion kamen aus China. Diese Porzellanproduktion war wie eine Produktionsstrasse. Oft waren es auch Familienbetriebe. Diese Produkte wurden für den heimischen Bedarf hergestellt. Es gab aber auch Werkstätten, wo für den Export nach Europa produziert wurde.


Teller aus Jingdezhen / Photo Courtesy Johann Jacobs Museum

Die Europäer haben Entwürfe nach China geschickt. Ein Beispiel haben wir hier, eine achteckige Kanne, angefertigt nach dem Vorbild einer Zinnkanne. Nur schon, dass die Porzellankanne achteckig ist – das geht eigentlich produktionstechnisch gar nicht.

Europäischer Entwurf, chinesische Fertigung – achteckige Porzellankanne / 
Photo Courtesy Johann Jacobs Museum


Und davon gibt es auch nur ein paar Stück auf der Welt. Und dann haben die Europäer Vorlagen gebracht, was da zu malen ist. Wie hier vom Raub der Europa. Aber das waren auch Darstellungen, die die Chinesen gar nicht dekodieren konnten. Zum Beispiel wurde als Vorlage Windmühlen geschickt. Es gibt nun zwei grosse Handelsgesellschaften, die mit China Handel trieben. Eine Englische, die East India Company und eine Holländische, die Dutch East India Company. Nun wussten die Chinesen nicht genau, was Windmühlen sind und haben gedacht, das seien Blumen und haben dann die ganze Wiese auf dem Porzellan mit Windmühlen übersät.


Photo Courtesy Johann Jacobs Museum

Oder zum Beispiel die antikisierende Darstellung mit römischen Heeren. Die hatten so Brustpanzer wie man sie aus Asterix Obelix kennt. Das wurde von den Chinesen als Frauen interpretiert, und so wurden lauter Frauenheere auf die Kanne gemalt.

Und die Europäer haben sich wahnsinnig dafür verschuldet, bis das Opium kam, dass nach China reingepresst wurde. Insofern ist dieses blauweisse Porzellan ein Zeichen gewesen für einen gravierenden technischen Vorsprung. Genau das machen wir in diesem Museum. Genau diesen Druck haben wir jetzt auch auf das Kobalt, einfach für die Lithium-Ionen Akkus und jetzt kommt das Kobalt aus dem Kongo. Und das ist der Grund für die chinesische Präsenz in Afrika.

Der Import hatte damals die europäischen Herrscher Häuser ruiniert, auch mit Seide, Tee und so weiter. Seit Marco Polo bestand daher immer ein Interesse, selber hinter die Formel für das Porzellan zu kommen. Und August der Starke hat es dann geschafft. Der Alchemist von August dem Starken hat ihm versprochen, dass er aus Erde Gold machen kann. Und das fanden absolutistische Herrscher super. Das hat der Alchemist, der Apotheker-Gehilfe war, aber nicht gepackt. Er ist aber zusammen mit einem Kollegen auf die Formel für Porzellan gekommen. Das war das erste europäische Porzellan, auch blau-weiss.

Arbeit des Zürcher Künstlers Zaccheo Zilioli – Untitled (2020) / zetzet.com

Im 19. Jahrhundert als Europa immer imperialistischer wurde, wurden die Machtverhältnisse weiter umgekehrt. Das erste englische Porzellan ist übrigens auch blau-weiss, Wedgewood. Das lehnt sich aber an der griechisch-römischen Antike an. Das heisst, es leitet das britische Empire vom Hellenismus und den Römern ab.Wenn solche Systeme entstehen, werden auch immer solche Stammbäume konstruiert. Heute, im Handy sieht man es nicht mehr, das blaue Kobalt. Aber wieder war es genau dieser Stoff, der die Schraube der technologischen Entwicklung weiter drehen liess.

Roger M. Buergel, Johann Jacobs Museum / Foto Tobias Bühler